Der geniale Erbsenzähler

Vor über 150 Jahren publizierte der Mönch und Naturforscher Johann Gregor Mendel seine Vererbungsregeln. Bei seinen Kreuzungsversuchen mit Erbsen hatte er Gesetzmäßigkeiten festgestellt, die später Basis jeder Pflanzenzüchtung werden sollten. Zu seinen Lebzeiten fanden die Erkenntnisse noch keine Beachtung. Heute dagegen gilt Mendel als „Begründer der Vererbungslehre“ und „Vater der Genetik“.

Mendels Eltern waren Kleinbauern, und die Kindheit des Jungen und seiner zwei Schwestern war geprägt von Armut und Entbehrung. Regelmäßige Mahlzeiten waren für die meisten Menschen in dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit, denn Nahrungsmittel waren knapp. Karge und unsichere Erträge waren Realität auf den Feldern.

Faible für Flora und Fauna

Schon in jungen Jahren war Mendels Leben bestimmt von der Faszination für die Natur. Es war ihm eine Herzensfreude, beim Veredeln der Obstbäume auf dem elterlichen Hof mitzuhelfen und im Garten der Dorfschule Bienen zu züchten. Zu Mendels Faible für Pflanzen und Tiere gesellte sich ein blitzgescheiter Geist. Die Schule absolvierte er als Jahrgangsbester, obwohl er bereits in jungen Jahren seinen Lebensunterhalt selbst verdienen musste.

Es folgte – zunächst finanziert durch den Erbverzicht seiner jüngeren Schwester – das Philosophiestudium an der Universität Olmütz, das Mendel trotz sehr guter Leistungen später wegen „bitterer Nahrungssorgen“ abbrechen musste. Der Not geschuldet schloss er sich im Alter von 21 Jahren dem Augustinerorden des Klosters St. Thomas in Altbrünn an und studierte von 1844 bis 1848 Theologie. Allerdings machte ihm das parallele Studium der Landwirtschaft, 1845/46, in dem er Auslese und Samenvermehrung lernte, viel mehr Freude.

Da Mendel für den Seelsorgerdienst zu zart besaitet schien, wurde er für den Schuldienst freigestellt. Mendel nahm dies dankbar an, denn nun hatte er Zeit für seine Leidenschaft – die Pflanzen.

Mendel war ein ausgesprochen guter und tüchtiger Lehrer. 1850 scheiterte er dennoch an der Prüfung zur staatlichen Lehrbefähigung, weil ihm vermutlich Wissen zur Naturgeschichte fehlte. Und auch die Prüfung 1856 in einem zweiten Versuch endete negativ. Neben dem schlechten Gesundheitszustand vermuten Wissenschaftler, dass es zu einem Disput gekommen sein könnte, denn Mendel schloss sich schon früh der Auffassung an, dass Vater- und Mutter-Pflanzen in gleicher Weise die Eigenschaften der Nachkommen bestimmen.

Damit widersprach er der Sichtweise des einflussreichen Botanik-Professors Matthias Jacob Schleiden (1804 – 1881).

Beginn der Versuche und Veröffentlichung der Mendelschen Regeln

Neben seiner Beharrlichkeit war der Prüfungsverlauf vermutlich ein zusätzlicher Ansporn für Mendel, die Versuche mit der Erbse aufzunehmen und durch Experimente seinen Standpunkt zu beweisen. Er notierte sorgfältig die unterschiedlichen Merkmale der Pflanzen (Blüte, Schoten, Stängel) und ihrer Samen und kreuzte sie in großen Versuchsreihen. Akribische Handarbeit war die Voraussetzung für 355 künstliche Befruchtungen, aus denen er 13.000 Hybriden zog. In seinen acht Jahre andauernden Untersuchungen kultivierte Mendel 28.000 Erbsenpflanzen.

Seine Arbeit gipfelte in der Erkenntnis, dass die Vererbung logischen Mustern folgt, die er in den „Mendelschen Regeln“ zusammenfasste. Unzählige weitere Kreuzungsversuche mit Levkojen, Nelkenwurz, Disteln, Akelei und vielen anderen Pflanzen untermauerten seine Resultate.

1866 fasste Mendel seine Ergebnisse zusammen und brachte seine Systematik unter dem Titel „Versuche über Pflanzenhybriden“ in gedruckter Form heraus. Allerdings blieb der erhoffte Zuspruch seiner wissenschaftlichen Kollegen erneut aus, was Mendel unbeeindruckt ließ.

„Meine Zeit wird schon noch kommen“, war er sich sicher. Und sie kam tatsächlich, allerdings erst Jahre nach seinem Tod. Mendel teilte damit das Schicksal vieler verkannter Genies, deren Wirken erst posthum angemessen gewürdigt wurde.

"Sollte eine Art A in eine andere B verwandelt werden, so wurden beide durch Befruchtung verbunden und die erhaltenen Hybriden abermals mit dem Pollen von B befruchtet; dann wurde aus den verschiedenen Abkömmlingen derselben jene Form ausgewählt, welche der Art B am nächsten stand und wiederholt mit dieser befruchtet, und so fort, bis man endlich eine Form erhielt, welche der B gleich kam und in ihren Nachkommen constant blieb. Damit war die Art A in die andere Art B umgewandelt."

Gregor Mendel

Drei Jahre nach Veröffentlichung der Ergebnisse gab Mendel seine Kreuzungsversuche auf und widmete sich ausschließlich seinem neuen Amt als Abt des Klosters St. Thomas. Am 6. Januar 1884 verstarb der Mönch und Naturforscher Mendel im Alter von 63 Jahren in Brünn.

Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln

Erst Jahre später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entdeckten drei Wissenschaftler unabhängig voneinander die Mendelschen Regeln neu. Das gab der Pflanzenzüchtung einen mächtigen Schub. Mendels Erkenntnisse waren die Basis dafür, Pflanzen mit klar definierten Zuchtzielen systematisch zu kreuzen. Bis dahin funktionierte das eher nach dem Zufallsprinzip und der unspezifischen Selektion nach sichtbaren bzw. messbaren Merkmalen.

 Es waren zunächst die Großgrundbesitzer, die Zeit und Geld hatten, sich intensiv mit Fragen der Pflanzenzüchtung zu befassen.  Die Mendelschen Regeln versetzten sie in die Lage, die Erträge ihrer Kulturpflanzen durch gezielte Kreuzungen zu steigern.  In den Folgejahren widmeten sich dann immer mehr meist mittelständisch geprägte Unternehmen der professionellen Pflanzenzüchtung.

 Und das mit überwältigendem Erfolg: Die Erträge von Weizen und Raps konnten im Lauf des letzten Jahrhunderts annähernd vervierfacht, die von Zuckerrüben und Kartoffeln mehr als verdoppelt werden. Und während zu Beginn allen züchterischen Tuns der Ertrag im Mittelpunkt stand, fanden nach und nach auch neue Zuchtziele, allen voran qualitative Faktoren, das Interesse der Züchter: Geschmack, Inhaltsstoffe und Aussehen beschäftigten die Wissenschaftler ebenso wie die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten.

 Mittlerweile erfolgt die Züchtungsarbeit nicht mehr ausschließlich in Versuchsgärten, sondern findet auch in hoch technisierten Laboren statt. Kreuzung und Selektion sind aber immer noch Grundlagen der züchterischen Arbeit. International vernetzte Teams von Spezialisten bedienen sich mittlerweile aber auch hochkomplexer Methoden der Biotechnologie, um die Sortenentwicklung zu beschleunigen.

Die Mendelschen Regeln

  • Die 1. Mendelsche Regel (Uniformitätsregel)

    Die 1. Mendelsche Regel (Uniformitätsregel)

    Im Klostergarten untersuchte Gregor Mendel die biologisch recht einfache Erbsenpflanze. Für seine Experimente kreuzte er „Eltern“ mit weißen und mit roten Blüten. Alle „Kinder“ (F1-Generation) wiesen rote Blüten auf. Rot hatte sich durchgesetzt, war also dominant. Die weiße Farbe war unterlegen (rezessiv). Bei anderen Pflanzenarten machte er eine andere Beobachtung: Es entstand eine Mischform. Die Kreuzung aus roten und weißen Blüten der Eltern brachte ausschließlich rosafarbene Blüten der Kinder hervor (intermediäre Vererbung). Aus beiden Beobachtungen leitete Mendel die Uniformitätsregel ab: Kreuzt man zwei reinerbige Eltern einer Art miteinander, so zeigen alle direkten Nachkommen untereinander das gleiche Aussehen.

  • Die 2. Mendelsche Regel (Spaltungsregel)

    Die 2. Mendelsche Regel (Spaltungsregel)

    Danach untersuchte Mendel die Vererbung bei den „Enkeln“ (F2-Generation) und kreuzte dazu die Generation der Kinder untereinander. Bei dem dominant-rezessiven Erbgang gab es drei rote und einen weißen Enkel. Bei der intermediären Vererbung spalteten die Enkel in einmal rot, zweimal rosa und einmal weiß. Daraus leitete Mendel die Spaltungsregel ab: Kreuzt man die Kindergeneration untereinander, so spaltet sich die Enkelgeneration in einem bestimmten Zahlenverhältnis auf. Dabei treten auch die Merkmale der Elterngeneration wieder auf.

  • Die 3. Mendelsche Regel (Unabhängigkeitsregel)

    Die 3. Mendelsche Regel (Unabhängigkeitsregel)

    Außerdem kreuzte Mendel Pflanzen, die sich in mehreren Merkmalen unterschieden. Beispiel: Der eine Elternteil hatte z. B. große rote Blüten, der andere kleine und weiße. Ergebnis: Die Kinder hatten alle große rote Blüten (Bestätigung der 1. Mendelschen Regel), die Enkel jedoch sahen ganz unterschiedlich aus: Es entstanden sowohl Blüten mit den Formen der Eltern, aber andere Enkel brachten kleine rote bzw. große weiße Blüten hervor. Das Spaltungsverhältnis war 9:3:3:1. In seiner dritten Regel, der Unabhängigkeitsregel, formulierte Mendel das so: Kreuzt man zwei Eltern, die sich in mehreren Merkmalen unterscheiden, so werden die einzelnen Erbanlagen unabhängig voneinander vererbt. Diese Erbanlagen können sich ab der F2-Generation zu neuen Merkmalen kombinieren.